Hans Schweiss, Fotografie 1963/1978, Text: Prof. Friedrich Seitz, Hamburg
Gesamtherstellung Karl Thiemig. Graphische Kunstanstalt und Buchdruckerei AG, München
Die Color-Vergrößerungen für die Ausstellung wurden vom Original-Dia über lnternegativ-Film auf Kodak 74 RC Papier vom Fachlabor Seitz & Zöbeley GmbH München hergestellt.
Fotosatz: Axel Rung, München
Copyright 1978 by Hans Schweiss, München.
Hans Schweiss ist eine starke Begabung, zupackend, aber nicht leichtfertig. Im Ansatz emotional, entwickelt er seine Pläne diszipliniert, unter der wachen Kontrolle eines bemerkenswerten Verstands. Das heißt aber nicht, daß dem kraftvollen Einstieg Klügeleien folgen, die alles verdünnen. Schweiss verdünnt nicht, er verdichtet. Er geht aufs Ganze, nimmt das Äußerste ins Visier, das Nonplusultra an Formung, an Intensität, an Ausdruck. Diese Unbedingtheit des Verhaltens, diese Ausprägung des Talents, dies alles wären Voraussetzungen für die Entfaltung im freien Spielraum der Kunst. Hans Schweiss hat sich aber - und das erscheint an ihm wie eine zweite Natur - von früh an gerade jenen Aufgaben zugewandt, die für eine starke Subjektivität »von außen« kommen, von den Anderen. Er hat sich also für die Aufgaben entschieden, die aus dem Gesellschaftlichen kommen, aus dem ökonomisch gelenkten Bedarf. Und das hat ihn mitten hinein geführt in die Funktionalitäten des öffentlichen Mitteilungsbetriebes, in die Arbeit an den »adressierten« Informationen. Das bedeutet für einen Praktiker der bildnerischen Entwurfsarbeit, daß an ihn nahezu alle Aufgaben aus dem lnteressenfeld der Wirtschaftswerbung herangetragen werden. Wer hier meinen sollte, daß dies eilfertige Gefälligkeit jenen Ansprüchen gegenüber bedeutet, die der künstlerisch Begabte nicht selten als Zumutung erfährt, der würde sich täuschen. Hier liegen die Dinge anders: Hans Schweiss sucht von sich aus die Identität des inneren Antriebs mit »den Sachen«, den bildhaften Mitteilungen und so ist er es, der abwägt und der bestimmt, welche Aufgaben er zu den seinigen macht.
Dieser Entwerfer bejaht von sich aus eine Verbindlichkeit des bildhaften Ausdrucks und der Darstellung, die über das Subjektive hinaus zu begründen ist. Es geht ihm um Objektivität und dieses Bedürfnis ist ihm in Fleisch und Blut übergangen. Daher sind selbst seine freien, fotografischen Arbeiten jener Beliebigkeit und Belanglosigkeit entzogen, welche die Produkte einer bornierten Subjektivität stets so unbarmherzig bloßstellen. So sind auch seine fotografischen Arbeiten - wenngleich »frei« - aus einer Disziplin heraus gewachsen, die vor jeder Festlegung des Aussehens den zu formenden Inhalt durchdringt, gedanklich und intentional. Formung und Formulierung folgen auch hier aus einer Konzeption, die ihrerseits als Antwort auf die eindringliche Frage nach dem Wozu, Wofür und Warum hervorgegangen ist. Seh-Begabung und Intuition schaffen die Funde herbei. Aber der »Wurf« ist oft hart erarbeitet, sodaß Schweiss schließlich sagen kann: Genau so, wie das Bild am Ende in Erscheinung tritt, muß es aussehen - so und nicht anders.
Womit arbeitet Hans Schweiss? Der schon erwähnte Wille zur Identität des Subjektiven mit den »Sachen« führt noch zu etwas anderem. Zu den Sachen, die ins Spiel treten, gehören die instrumentellen Vorrichtungen, die technischen Medien. Es ist ja zunächst eine offene Frage, ob sich der Praktiker hier ans Altvertraute hält, an das erlernte Handwerk, oder ob er den Gebrauch der Mitte! genau auf der Höhe sucht, die gegenwärtig im Technischen möglich ist. Schweiss hat sich für die eben genannte Möglichkeit entschieden, womit seinem Wollen nach Übereinstimmung, auch nach der Seite der materiellen Vermittlungsformen, nichts im Wege steht. Verfügung über Mittel, die an der Spitze der technisch-zivilisatorischen Entwicklung stehen - das ist es, was er will und wozu er sich bekennt. Risiken? Und ob! Aber wir werden sehen, was Schweiss tut, um dem Beherrschtwerden durch die Medien zu entgehen. Jedenfalls steht er mit seiner Entscheidung für optimale Technik bewußt einer Haltung entgegen, die das Unvermögen den neuen Medien gegenüber zur Tugend stilisiert. Ihm ist ein Räsonieren zuwider, das Schwäche in Anmaßung ummünzt und das reaktionären Muff als Originalität ausgibt. Er weiß, daß sich das Rückschlägige gern als Traditionsbewußtsein verbrämt, als Sensibilität und Tiefsinn, und er weiß, daß dies alles gut ins Bündnis jener Kräfte paßt, die uns im Nu das Fürchten lehren wollen.
Katalog und Ausstellung präsentieren Ergebnisse des Gebrauchs der fotografischen Mittel auf dem höchsten Stand: Sorgfältige Farbwiedergaben. großformatige Diapositive. Es sind Ergebnisse auch eines wirtschaftlichen Aufwandes, wie er aus der Hand eines einzelnen Künstlers und Entwerfers ungewöhnlich ist. Und damit sind wir bei den Bildern selbst. Blickt man aufs Ganze, öffnet sich der Blick den Eindrücken, ohne sich von den unzulässigen Vorgriffen des rationalisierenden Urteils verleiten zu lassen, so wird man sich diesem Andrang intensiver und dichter Ausdrücke voll aufschließen. Wir sehen Licht-Bilder, »Zeichnungen der lichtdurchsprühten Sekunde« (wie es Hellmuth de Haas emphatisch, aber treffend gesagt hat), die unaufhörlich neue Quellen der Erfahrung bieten. Nun wird klar, warum sich Schweiss die Fotografie nicht entgehen lassen konnte. Dieses Medium hat ihn ergriffen, das mit Lichtgeschwindigkeit Randzonen der visuellen Wahrnehmung erschließt. Erst in jüngerer Zeit beginnen wir voll zu begreifen, daß die Licht-Zeichnungen eine neue »Sicht der Dinge« freigelegt haben und daß sie von grundauf mißdeutet sind, wenn sie nur als eine sinnentleerende Anhäufung von vermittelnden Abbildern der Realität gelten sollen. Die Foto-Realität ist eine eigene, zweite Wirklichkeit.
In der Tat, das Material für eine revolutionierende Sicht liegt selbst im »Schnappschuß« des Amateurs, ja selbst noch im unbeabsichtigten, versehentlichen »Blitz«. Aber es wäre eine platte Meinung zu glauben, daß das Festhalten flüchtiger Sensationen des Lichts auf der Haut der Dinge der reinste Sinn des Fotografierens sei. Hans Schweiss jedenfalls denkt nicht daran, sich als Auslöser des technisch objektierten Blicks zu verstehen. Er ist der Autor des Bildes. Und es ist nicht zufällig, daß ein von ihm aufgenommener Rückenakt an die großen venezianischen Maler erinnert. Doch ist es nicht die Pose der Liegenden, die hier in Rede steht. Die historisierende Attitüde ist die Pointe, nicht der Kern, Die »innere« Ähnlichkeit ist es, die gleiche Art der bewußten Führung des Lichtes. Souverän wird es auch hier in den Dienst genommen, als Mittel der formenden Synthese! Kein Schlagschatten, kein gebündelter, geworfener Strahl. Vor allem keine Zufälligkeiten aus direkter Beleuchtung; sie würden weit eher die Formen zerhacken, als sie die erhoffte Modellierung erbringen würden. Man wagt kaum die schönsten Einsichten der Zunft auszuplaudern. Genügt es nicht, daß sie so klar und so zart wie hier zur Anschauung kommen? Nun würde das eben herausgestellte Bild in die falsche Richtung weisen, dächten wir, daß Schweiss hiermit eine - wenngleich sehr bemerkenswerte - Neuauflage des Piktorialismus versuchte, jene Versuche also weiterführen wollte, die im vorigen Jahrhundert das Fotografieren auf dem Weg über das Nachahmen bedeutender Malerei kunstfähig machen sollten. (Längst ist das Lichtbild Material und Mittel künstlerischer Formung. bedarf also nicht solcher »Profilierung«). Unser Beispiel sagt etwas anderes; es macht deutlich, daß Hans Schweiss sorgfältig inszeniert. Da sind zunächst jene präzisen Anordnungen der Objekte - und des Lichtes! - die nach klarer Konzeption und nach genauem Plan in Szene gesetzt sind. In ihnen wird größtmögliche Synthese angestrebt: Die Einheit aus der Angemessenheit der Mittel, der Stärke des Ausdrucks und der Verdeutlichung der Absicht. Es ist genau das Gleiche, das auch die Formung seiner werbegrafischen Vorhaben kennzeichnet. Insofern bleibt sich Schweiss stets gleich. Das ist auch der Grund jener inneren Übereinstimmung, jener durchgehenden Gemeınsamkeit, die alle seine Arbeiten auf den Hauptnenner bringt: Außerordentliche Vielartigkeit, ja Verschiedenartigkeit der Themen, der beschreibbaren Äußerlichkeit.
Ein anderer Typus: Bilder, die sich der Inszenierung zu entziehen scheinen, entstanden unterwegs, auf Reisen, an vielen Orten, scheinbar Nebenprodukte, glückhafte Funde. Also doch auch hier »Schnappschüsse«, Früchte des Zufalls, unversehens in den Schoß gefallen? Keineswegs. Funde ja, aber solche, denen ständiges Bereitsein, hellwaches Auge, Geduld und Ausdauer vorausgingen. Solche Bilder sind Inszenierungen subtilerer Art, solche, mit denen die Natur hie und da unsere Mühe belohnt, wenn wir sie lange genug und zäh mit unseren Vorstellungen verfolgt haben. In allen diesen Bildern faltet Hans Schweiss einen frappierenden, ästhetischen Reichtum aus. Nichts ist forciert. Keine Häufung des Ausdrucks, kein Lärm, vor allem keine Wiederholung. Statt dessen Reduktion bis zum Äußersten, Verdichtung auf den Kern der Sache, prägnante Gestalt, Treffer von Bild zu Bild. Gegen Ende seines dem Schauen hingegebenen Lebens hat Cézanne bemerkt, daß die Schatten konvex sind. Hier trifft man es wieder, im Licht-Bild objektiviert, deutlich zu sehen an der weißen Stahlwand eines Schiffes unter dem schmalen Streifen azurblauen Himmels. Dort im Gegenlicht die Schöne, im eisernen Stuhl ein graziles Widerspiel, das Echo der Körperformen. Appell an die Sinne - aber delikat. Und präzis. In allem Kraft und Sinnlichkeit, Ausdruck so gut wie Intelligenz. Absichten - zur hellen Anschauung gebracht.